Niederländischer Insolvenzverwalter darf verkauftes Schiff nicht herausverlangen – Urteil aus Amsterdam
Kurz zusammengefasst
- Das Berufungsgericht Amsterdam entschied, dass ein Insolvenzverwalter ein Schiff nicht herausverlangen darf, obwohl es noch auf den Namen des Insolvenzschuldners eingetragen war.
- Nach Auffassung des Gerichts wiegt das Verbot der aktiven Vertragsverletzung schwerer als der sachenrechtliche Eigentumsanspruch.
- Dieses Urteil wirft Fragen zum Verhältnis zur niederländischen Insolvenzordnung auf und kann erhebliche Folgen für die Insolvenzmasse haben.
Am 16. September 2025 verkündete das Berufungsgericht Amsterdam ein bemerkenswertes Urteil. Das niederländische Gericht entschied, dass ein Insolvenzverwalter ein Schiff nicht herausverlangen durfte, obwohl der Insolvenzschuldner zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung Eigentümer des Schiffes war. Besonders an dem Urteil: Grundsätzlich darf ein Eigentümer frei über seine Sachen verfügen. Unser Leiter des German Desks und deutschsprachiger Anwalt für deutsches und niederländisches Recht, Onno Hennis, erläutert Ihnen die gerichtliche Entscheidung.
Hintergrund der Entscheidung des niederländischen Gerichts
Shipcar Yachts (SCY) handelte mit Motorjachten. Am 18. April 2019 verkaufte sie für eine mit ihr verbundene Gesellschaft (CTH) ein Schiff an X. Nachdem X den Kaufpreis in drei Raten vollständig gezahlt hatte, wurden ihr die Schlüssel übergeben.
Gut zwei Jahre später wurden sowohl SCY als auch CTH für insolvent erklärt. Der Insolvenzverwalter stellte fest, dass das Schiff in den öffentlichen Registern noch auf den Namen von SCY eingetragen war. Nach Ansicht des Insolvenzverwalters war das Eigentum am Schiff daher nie auf X übergegangen. Daher forderte der Insolvenzverwalter gegenüber X die Herausgabe des Schlüssels und des Registerbriefs des Schiffes, doch X weigerte sich.
Wie funktioniert die Übereignung eines Schiffes in den Niederlanden?
Da dieses Schiff registriert war, handelt es sich nach niederländischem Recht um ein Registergut (registergoed). Die Eigentumsübertragung von Schiffen erfordert in den Niederlanden zwingend eine notarielle Urkunde und deren Registereintragung. Beides war hier nicht erfolgt. Der Insolvenzverwalter hatte also Recht: X war nie Eigentümerin geworden.
Auch der Gutglaubensschutz half X nicht, da der Mangel nicht in der Verfügungsbefugnis des Veräußerers lag, sondern im Fehlen einer wirksamen Übereignung.
Kein Herausgabeanspruch des niederländischen Insolvenzverwalters
Grundsätzlich kann ein Eigentümer (und damit auch sein Insolvenzverwalter) sein Eigentum von demjenigen herausverlangen, der sie ohne Rechtsgrund besitzt (Vindikationsrecht aus Art. 5:2 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches (BW, Burgerlijk Wetboek)). Dennoch entschied das Gericht, dass der Insolvenzverwalter von SCY keine Herausgabe des Schiffes verlangen durfte.
Seine Entscheidung begründete das Gericht wie folgt:
- Die Rechte des Insolvenzverwalters umfassen die des Insolvenzschuldners. Wenn SCY nicht insolvent geworden wäre, hätte auch sie die Herausgabe des Schiffes nicht verlangen können.
- Das Herausgabeverlangen des Schiffes (oder die Übereignung des Schiffes an einen Dritten) würde eine ‘aktive Vertragsverletzung’ darstellen, was nicht zulässig ist. Das Gericht stützt sich dabei auf das Berzona-Urteil des Obersten Gerichtshofs in den Niederlanden, Hoge Raad, aus dem Jahr 2014, wonach ein Insolvenzverwalter zwar Leistungspflichten unerfüllt lassen darf, jedoch nicht aktiv in bestehende Duldungsverhältnisse eingreifen darf.
Dieses Urteil des Berufungsgerichts ist insofern bemerkenswert, da das Gericht dem dinglichen Eigentumsverhältnis keine entscheidende Bedeutung beimisst. Die Tatsache, dass der Insolvenzverwalter nicht aktiv vertragsbrüchig werden darf, wiegt rechtlich schwerer als der sachenrechtliche Eigentumsanspruch.
Aktive und passive Vertragsverletzung durch den Insolvenzverwalter
In der juristischen Literatur wurde viel über die Frage diskutiert, ob und wann ein Insolvenzverwaltung vertragsbrüchig werden darf und welche Folgen dies hat.
Als Grundregel wird in den Niederlanden allgemein angenommen:
- Der Insolvenzverwalter muss eine Verpflichtung zu einem aktiven Tun (beispielsweise die Lieferung einer Sache) nicht erfüllen. Der geschädigte Gläubiger kann seinen Schadensersatzanspruch dann zur Feststellung anmelden.
- Eine Verpflichtung zu einem Unterlassen darf der Insolvenzverwalter hingegen nicht verletzen. Tut er dies dennoch, hat der Gläubiger eine Masseforderung.
Dieses niederländische Urteil verdeutlicht, dass nicht immer klar abzugrenzen ist, ob eine Vertragsverletzung aus einem aktiven Tun oder durch ein Unterlassen zustande gekommen ist.
Dieses Urteil verdeutlicht, dass die Abgrenzung zwischen Unterlassen und aktivem Tun für die Pflichtverletzung nicht immer eindeutig ist und dass eine unterschiedliche Behandlung der Handlung zu ungerechtfertigten Ergebnissen führen kann.
Wie wäre das Urteil ausgefallen, wenn das Verfahren anders angelegt und die Mitwirkung an der Lieferung des Schiffes verlangt worden wäre?
Bedeutung für die Insolvenzmasse in den Niederlanden
Für die Insolvenzmasse kann es durchaus von Bedeutung sein, dass der Insolvenzverwalter das Schiff nicht herausverlangen durfte.
Hätte der Insolvenzverwalter das Schiff zu einem höheren Preis als dem von X durch die Rückforderung erlittenen Schaden verkaufen können, hätte die Insolvenzmasse ein Interesse an der Rückforderung gehabt. Dies gilt insbesondere, wenn die Übertragung längere Zeit vor der Insolvenz stattgefunden hätte und eine Anfechtung (actio pauliana) wegen der erforderlichen Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung schwierig gewesen wäre.
Der Schaden, den X erleidet, ist zwar eine Masseforderung, aber die Gläubiger haben in einer solchen Situation ein Interesse daran, die Differenz zwischen ihrem Anspruch und dem Verkaufserlös einzufordern.
Geht der niederländische Fall in Revision?
Die Entscheidung des niederländischen Gerichts lässt Fragen offenstehen. Das Gericht begründet beispielsweise nicht:
- Wie sich die Entscheidung zu Art. 35 der niederländischen Insolvenzordnung (FW, Faillissementswet) verhält. Die Norm bestimmt, dass eine vor der Insolvenzeröffnung nicht vollendete Übergabe nicht mehr wirksam erfolgen kann.
- auf welcher Grundlage es zu dem Schluss kommt, dass SCY das Schiff außerhalb der Insolvenz nicht hätte herausverlangen können.
- Vermutlich spielt dabei eine Rolle, dass X das Schiff nicht „ohne Rechtsgrund” besaß: Das Schiff war ihr schließlich übertragen worden und der Kaufpreis war bezahlt. Ferner geht das Gericht in seiner Beurteilung kaum auf die Unterscheidung zwischen CTH (Verkäufer) und SCY (Eigentümer) ein.
Auch prozessrechtlich ist das Urteil nicht ganz nachvollziehbar. X hatte unter anderem vor dem Gericht die Feststellung beantragt:
- dass sie Eigentümerin des Schiffes sei,
- hilfsweise, sollten ihr die Mängel nicht entgegengehalten werden können,
- Weil sie geschützt sei oder
- Zumindest, dass eine Rechtsverwirkung vorliege.
Das niederländische Gericht stellte schließlich fest, dass der Insolvenzverwalter das Schiff nicht von X als rechtmäßige Besitzerin herausverlangen kann.
Aufgrund der zugrundeliegenden Tatsachen erscheint das Urteil des Gerichts als gerechtes Ergebnis. Für die Rechtspraxis wäre es interessant gewesen zu sehen, ob das Urteil mit dieser Begründung in der Revision Bestand hätte. Das Rechtsmittel der Revision (Cassatie) wird in den Niederlanden beim Obersten Gerichtshof (Hoge Raad) eingelegt, vergleichbar mit der Revision beim deutschen Bundesgerichtshof.
Fragen zum Insolvenzrecht in den Niederlanden?
Haben Sie Fragen zum niederländischen Insolvenzrecht oder zu den Befugnissen eines Insolvenzverwalters? Unser deutschsprachiger Ansprechpartner für deutsches und niederländisches Recht und Leiter des German Desk bei AMS Advocaten in Amsterdam, Onno Hennis, steht Ihnen gerne zur Verfügung. Herrn Hennis erreichen Sie unter onno.hennis@amsadvocaten.nl oder +31 20 308 03 15.