Wie verläuft ein Hauptsacheverfahren beim Sektor Zivilrecht in den Niederlanden?

Thomas van Vugt Thomas van Vugt 8. Mai 2019 5 min

Jedes Verfahren ist anders. So verläuft ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren anders als ein Hauptsacheverfahren und ist ein Hauptsacheverfahren bei der Kammer für amtsgerichtliche Angelegenheiten wieder anders als beim Sektor Zivilrecht. Der niederländische Anwalt für Verfahrensrecht, Thomas van Vugt, erklärt in diesem Blog den Ablauf eines Hauptsacheverfahrens beim Sektor Zivilrecht des Gerichts in den Niederlanden.

Ein Hauptsacheverfahren in den Niederlanden einleiten, wann?

Wenn Sie ein Feststellungsurteil (eine verbindliche Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen Parteien durch einen Richter, beispielsweise in Eigentumsstreitigkeiten) benötigen oder bei einer Forderung mit einem Wert über 25.000,- EUR, können Sie in den Niederlanden beim Sektor Zivilrecht des Gerichts ein Hauptverfahren einleiten. Manche Angelegenheiten, wie Streitigkeiten bezüglich Arbeitsverträge, Miet- und Verbraucherabkommen, unterliegen ausschließlich dem Amtsrichter, ungeachtet davon, ob die Forderung über 25.000,- EUR hinausgeht.

Einleitung des Verfahrens: Ladung

Der Kläger ist verpflichtet, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen, um ein Verfahren einleiten zu können. Bei amtsgerichtlichen Angelegenheiten ist dies nicht der Fall. Das Verfahren fängt mit der Zustellung der Ladung an. Dies ist eine vom Gerichtsvollzieher zugestellte Ladungsurkunde, in welcher der Kläger den Streitfall zwischen den Parteien sowie seinen Antrag an den Richter erläutert. Beispielsweise die Verurteilung des Antragsgegners, etwas zu tun, zu unterlassen oder etwas zu dulden.

Schriftsatztermin: Schriftliche Verhandlung

In der Ladung wird ein Schriftsatztermin erwähnt: Dies ist der Termin für eine schriftliche Verhandlung, an dem der Kläger die Ladung an das Gericht zustellen muss und der Beklagte sich melden („stellen“) muss. Die Parteien brauchen zu diesem Termin nicht persönlich anwesend zu sein.

Versäumnisurteil und Einspruchserhebung

Wenn der Beklagte nicht rechtzeitig erscheint oder unterlässt, einen Anwalt zu ernennen, so urteilt der Richter, dass ein Versäumnisurteil gegen ihn erlassen wird. In einem Versäumnisurteil wird dem Antrag des Klägers stattgegeben, es sei denn, das Gericht erachtet den Antrag unbegründet oder unrechtmäßig. Auf ein Versäumnisurteil kann dennoch reagiert werden und zwar indem Sie innerhalb von 4 Wochen nach Urteilszustellung Einspruch erheben.

Gerichtsgebühren bei der Verfahrenseinleitung in den Niederlanden

Sowohl der Kläger als auch der Beklagte sind bei einem Verfahren zur Zahlung von Gerichtsgebühren an das Gericht verpflichtet. Die Höhe dieser Gebühren ist vom Streitwert sowie von der Eigenschaft der Verfahrenspartei (juristische Person, natürliche Person oder mittellos) abhängig. Die Gerichtsgebühren sind innerhalb von 4 Wochen nach dem Schriftsatztermin zu zahlen. Im Falle des Zahlungsverzugs ergibt sich für den Klägerin das Risiko auf Einstellung des Verfahrens. Gegen den Beklagten könnte im Falle des Zahlungsverzugs ein Versäumnisurteil erlassen werden.

Klageerwiderung und Widerklage

Anschließend entscheidet das Gericht, innerhalb welcher Frist der Beklagte eine Klageerwiderung [conclusie van antwoord] (Verteidigung aufgrund der Ladung) einzureichen hat. Diese Frist beträgt für einen erschienenen Beklagten im Allgemeinen 6 Wochen. In der Klageerwiderung kann der Beklagte, außer einer Verteidigung oder Stellungnahme zur Ladung, auch eine Klage vorbringen: Widerklage. Die schriftliche Klage des Klägers ist die Hauptklage [eis in conventie]. Die Widerklage des Beklagten führt dazu, dass zwei Verfahren gleichzeitig behandelt werden und zwar das Hauptverfahren und das Widerklageverfahren.

Das Zwischenurteil

Mittels eines Zwischenurteils entscheidet das Gericht über den weiteren Verlauf des Verfahrens. Es gibt mehrere Möglichkeiten und der Verfahrensablauf ist von der Kompliziertheit der Sache abhängig. Die Verfahrensdauer wird somit von einer Vielzahl von Faktoren bedingt. In einem Zwischenurteil kann das Gericht auch ein Urteil über nur einen bestimmten Teil der Sache erlassen und den Parteien spezifische Beweisaufträge erteilen.

Persönliches Erscheinen: Die mündliche Verhandlung

Oft wird das Gericht das persönliche Erscheinen der Parteien in einer mündlichen Verhandlung anordnen, wobei dann den Anwälten die Möglichkeit zum Plädoyer und dem Gericht die Möglichkeit, sich eingehender zur Sache zu informieren, geboten wird. Zudem steht den Parteien die Möglichkeit eines Vergleichsversuchs offen. Wenn sich ein Vergleich für unmöglich erweist, kann sich das Gericht für einen schriftlichen Urteilserlass entscheiden. Das Gericht kann jedoch auch eine zweite mündliche Verhandlung für notwendig erachten und anordnen, beispielsweise da neue Tatsachen während des ersten Erscheinens der Parteien vor Gericht bekannt geworden sind oder da die Parteien unzureichend die Möglichkeit hatten, zu neuen Verfahrensunterlagen Stellung zu nehmen.

Replik und Duplik

Aus denselben Gründen kann das Gericht eine zweite Möglichkeit zum Schriftsatzaustausch anordnen. Dabei haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte somit erneut die Möglichkeit, einen Schriftsatz zum Verfahren einzureichen, also ein Schriftstück, in dem sie ihren Standpunkt erläutern, die Replik (des Klägers) und die Duplik (des Beklagten). Die Frist zur Einreichung dieses Schriftsatzes beträgt für beide Parteien 6 Wochen. Wurde bereits ein inhaltliches Zwischenurteil erlassen, so wird diese Frist auf 4 Wochen gekürzt. Zudem können die Parteien so genannte „Akten“ zum Verfahren einreichen: Schriftstücke mit kurzen Mitteilungen. Die andere Partei muss immer die Möglichkeit haben, zu den neu eingereichten Beweisstücken Stellung zu nehmen.

Zeugenvernehmung und Sachverständigenprüfung

Nebst der Einreichung schriftlicher Beweisstücke können die Parteien der Beweisauflage auch durch Zeugenvernehmung oder durch eine Sachverständigenprüfung genügen. Dazu kann das Gericht eine zusätzliche mündliche Sitzung anberaumen. Die Zeugen, die den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu laden sind, sind zur Zeugenaussage verpflichtet. Auch der Kläger und der Beklagte können auf eigenes Ersuchen oder auf Ersuchen der anderen Partei als Zeuge auftreten.

Erklärung eines Sachverständigen vor Gericht

Ein Sachverständiger kann sowohl auf Ersuchen der Parteien als auch auf Anordnung des Gerichts („von Amts wegen“) um seine Stellungnahme gebeten werden. Dies kann durch eine Anhörung zur mündlichen Verhandlung oder durch die Einreichung eines Sachverständigengutachtens.

Wann erfolgt der Urteilserlass in den Niederlanden?

Nach der letzten Verfahrenshandlung wird vom Gericht die Frist für den Urteilserlass anberaumt. Das Gericht bemüht sich im Allgemeinen, das Urteil innerhalb von 6 Wochen zu erlassen, der Termin des Urteilserlasses kann jedoch ausgesetzt („vertagt“) werden. Diese Vertagung geschieht häufig.

Berufung in den Niederlanden

Nach dem Urteil haben die Parteien drei Monate die Möglichkeit, Berufung einzulegen. Berufung ist in den Niederlanden bei einem Streitwert unter 1.750,- EUR ausgeschlossen. In dem Fall ist das in erster Instanz erlassene Urteil endgültig.